Sanierung ohne Grenzen

21. März 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Restrukturierungen und Sanierungen von Konzernen finden zumeist über Ländergrenzen hinweg statt. Dr. Johannes Heck und Dr. Christoph von Wilcken erläutern, welche Regelungen in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen auf nationaler und internationaler Ebene greifen und was sie für die Beteiligten bedeuten.

 

Herr Heck, Herr von Wilcken, die deutsche Wirtschaft ist traditionell stark exportorientiert. Von daher ist die Frage, nach den rechtlichen Möglichkeiten für eine grenzüberschreitende Sanierung von Konzerngesellschaften von großer Bedeutung, die ihren Sitz in Deutschland haben. Welche Regelungen greifen in einem solchen Fall?

Heck: Grundsätzlich gilt im europäischen wie auch im deutschen Insolvenzrecht das Prinzip: eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz. Im Fall einer Konzerninsolvenz muss also für jede beteiligte Gesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren beantragt werden – und das selbst dann, wenn die Konzerngesellschaften als wirtschaftliche Einheit operieren. Das führt bei Konzernen mit vielen Gesellschaften allerdings oftmals zu unübersichtlichen Situationen: Denn häufig werden die Insolvenzanträge an unterschiedlichen Gerichten gestellt. Im Extremfall hat dann jede Gesellschaft einen eigenen Insolvenzverwalter.

von Wilcken: Wenn Konzerngesellschaften unterschiedliche Insolvenzverwalter haben, kann das im Fall der Fälle zu einem erheblichen Spannungsverhältnis führen, gerade wenn konzernwichtige betriebs- oder finanzwirtschaftliche Prozesse auf unterschiedliche Gesellschaften im Konzern verteilt sind. Denken Sie etwa an das oft praktizierte Liquiditätsmanagement im Rahmen sogenannter Cash-Pooling-Systeme sowie gruppeninterne Leistungs- und Lieferbeziehungen. Im Falle einer grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz kommen aufgrund der divergierenden nationalen Rechtsrahmen zudem weitere Herausforderungen hinzu.

 

Das klingt so, als wäre es besonders herausfordernd, einen Konzern als wirtschaftliche Einheit zu sanieren und zugunsten der Gläubiger den im Konzern angelegten Mehrwert zu realisieren?

von Wilcken: Das ist in der Tat so und alles andere als ein Selbstläufer. Es besteht die Gefahr, dass die Insolvenz einer Konzerngesellschaft einen Dominoeffekt erzeugt und zur Insolvenz aller verbundenen Unternehmen – einer sogenannten Ketteninsolvenz – und einem unkontrollierten Auseinanderfallen des Konzerns führt.

Heck: Umso wichtiger ist es, die Regelungen des europäischen sowie des deutschen Konzerninsolvenzrechts im Blick zu haben, die erst in jüngerer Zeit normiert worden sind. Bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen gelten in innereuropäischen Sachverhalten die Regelungen der Europäischen Insolvenzverordnung, kurz EuInsVO. Sie bildet seit 2002 die gemeinsame rechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU.

 

Was legt die EuInsVO fest?

Heck: Die EuInsVO legt zum Beispiel fest, dass Insolvenzverfahren, die innerhalb der EU eröffnet werden, automatisch in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark – dort gilt die EuInsVO nicht – anerkannt werden, ohne dass es dazu einer gesonderten Gerichtsentscheidung bedarf. Zudem besagt die EuInsVO, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das nationale Insolvenzrecht des Mitgliedstaates gilt, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird.

von Wilcken: Im Zuge einer umfassenden Reform im Jahr 2015 wurden in die EuInsVO unter anderem Regelungen für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzverfahren aufgenommen – etwa für die Koordination solcher Verfahren. Definiert werden dabei zum einen die Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter und Gerichte. Zum anderen ermöglicht es die EuInsVO nun, ein sogenanntes Gruppen-Koordinationsverfahrens durchzuführen, das in weiten Teilen an das nationale deutsche Konzerninsolvenzrecht erinnert. Im Gegensatz zum autonomen deutschen Recht gibt es in der EuInsVO allerdings keine Konzentration der Gerichtszuständigkeit.

 

Sie sprechen den Koordinator an. Was ist seine Funktion?

von Wilcken: Der Koordinator agiert eher als Mediator, denn als klassischer Insolvenzverwalter. Er leitet das sogenannte Gruppen-Koordinationsverfahren, das die Verwalter der Einzelgesellschaften initiieren können. Seine Aufgabe ist es, die verschiedenen Verfahren aufeinander abzustimmen, um den Ablauf so reibungslos wie möglich zu gestalten und möglichst eine gemeinsame Sanierungsstrategie zu erarbeiten. Dazu schlägt er einen sogenannten Gruppen-Koordinationsplan vor, der den geplanten Verfahrensablauf und die zu ergreifenden Maßnahmen festhält. Mit einem solchen koordinierten Ansatz, lässt sich für alle Beteiligten meist ein besseres Ergebnis erzielen.

 

Kommen wir zum nationalen deutschen Konzerninsolvenzrecht. Wann gelten seine Regelungen?

Von Wilcken: Das autonome deutsche Konzerninsolvenzrecht kommt in rein nationalen Konzerninsolvenzen sowie in Verfahren mit Bezug zu Staaten außerhalb der EU zur Anwendung. Das 2018 in Kraft getretene Regelwerk verfolgt das Ziel, die Sanierungsbemühungen von Konzernen einfacher und vor allem effektiver zu machen.

Heck: Auf Basis des deutschen Konzerninsolvenzrechts können die einzelnen Insolvenzverfahren eines Konzerns bei einem Gericht konzentriert werden. Zudem ist es ausdrücklich möglich, einen Insolvenzverwalter für alle Verfahren einzusetzen, oder zumindest mehrere Verwalter aus der gleichen Kanzlei zu bestellen. Darüber hinaus kann auf Antrag ein sogenannter Gruppengläubigerausschuss gebildet werden. Wichtig ist, dass bei Konzerninsolvenzen mit Drittstaatenbezug die Insolvenzrechte der jeweiligen Eröffnungsstaaten, also Deutschland und ein oder mehrere Drittstaaten, grundsätzlich nebeneinander zur Anwendung kommen. Da ein gemeinsamer Nenner der beteiligten Rechtsordnungen häufig schwierig zu finden ist, bietet es sich für die Verwalter in solchen Fällen an, sogenannte Protocols zur grenzüberschreitenden Kooperation und Koordination abzuschließen.

 

Welche Rolle spielt Ihrer Erfahrung nach bei Konzerninsolvenzen die Vorbereitung?

Von Wilcken: Die erfolgreiche Fortführung eines Konzerns setzt gerade auch im grenzüberschreitenden Bereich mit Blick auf die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen erhebliche Anstrengungen und ein großes Maß an Kooperation aller Beteiligten voraus. Hierfür ist regelmäßig eine gute Vorbereitung und ein belastbares Netzwerk „vor Ort“ in den Ländern erforderlich, in denen die Konzerngesellschaften ihren Sitz haben.

Heck: Der europäische und auch der deutsche Gesetzgeber haben sich nicht zum Ziel gesetzt, die Koordination von Konzerninsolvenzen zu erzwingen. So sieht das weitgehend parallele Gruppen-Koordinationsverfahren keinen spezifischen Sanktionsmechanismus bei Pflichtverstößen der Beteiligten voraus. Vielmehr ist das Verfahren stark konsensual geprägt. Den Verfahrensbeteiligten steht ein rechtlicher Rahmen zur Verfügung, der die Zusammenarbeit und Koordination in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen fördert. In der insolvenzrechtlichen Praxis wurde dieses Angebot des Gesetzgebers bislang jedoch nicht in größerem Umfang angenommen, obgleich hierzu auch in namhaften Verfahren wie zum Beispiel Air Berlin und NIKI die Möglichkeit bestanden hätte.

 

Was würden Sie sich mit dem Blick auf die Möglichkeiten des rechtlichen Rahmens wünschen?

Heck: Es bleibt zu hoffen, dass die Instrumente des europäischen und des deutschen Konzerninsolvenzrechts zunehmend Einzug in die Praxis finden und der diesbezügliche Kulturwandel fortschreitet. Die Regelungen der EuInsVO und des nationalen Konzerninsolvenzrechts machen die Planung und die Umsetzung einer Konzernsanierung deutlich einfacher. Im Ergebnis wird dadurch die Hürde gesenkt, mehrere Konzerngesellschaften mit Hilfe des Insolvenzrechts koordiniert zu sanieren.

von Wilcken: Denn auch bei Konzernen gilt wie in jeder Insolvenz: Je früher auf eine finanzielle Schieflage reagiert wird, desto größer sind die Sanierungschancen. Das erhält sanierungsfähige Unternehmen und rettet Arbeitsplätze. Werden Konzerngesellschaften saniert, hat das aber auch für die Gläubiger Vorteile. Sie haben weiter die Chance, mit den Konzerngesellschaften Geschäfte zu machen. Zudem erhalten sie bei einer erfolgreichen Sanierung in der Regel eine höhere Quote als im Falle einer Zerschlagung – mithin mehr Geld. Kurzum: Von einer gelungenen Konzernsanierung profitieren am Ende alle.


Die Interviewpartner

Dr. Johannes Heck und Dr. Christoph von Wilcken sind Rechtsanwälte bei Schultze & Braun, einem führenden Dienstleister für Insolvenzverwaltung und Beratung im Sanierungs- und Insolvenzrecht. An mehr als 30 Standorten in Deutschland und dem europäischen Ausland unterstützt Schultze & Braun Unternehmen vor Ort, bundesweit und international in allen rechtlichen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Heck ist an den Standorten in Bologna und Mailand, von Wilcken am Standort Berlin der 1975 gegründeten Kanzlei tätig.